Von Rüfen, Hochwasser und Lawinen

Seit Jahren wohne ich in der Rüfegasse in Malans, ein Weinbaudorf, das in die Bündner Herrschaft eingebettet ist. An einem schönen Julitag erzählte mir der in Malans lebende Erwin Gredig die Geschichte zu dieser Strasse.


Von Rüfen, Hochwasser und Lawinen

 

Er arbeitete als Primarlehrer und auch mehrere Jahre als Feuerwehrmann. Nach seiner Pensionierung packte ihn die Leidenschaft als Archivar im Malanser Gemeindearchiv. So ruhig und friedlich Malans auch ist, so manche Geschichte hat es zu schreiben. Die ein oder andere Krise, hat er mir erzählt.

Die Malanser Rüfen

Das Wort Rüfe bezeichnet einen Murgang, was einer Steinlawine gleichkommt, die aus Schlamm und Geröll besteht. Malans liegt am Fusse des Berges Vilans und wurde auf zwei Rüfen errichtet, die einst vor allem, wenn heftige Gewitter mit Hagelschlag über dem Berg Älpli niederprasselten, das Dorf beängstigend gefährdeten. Eine ständige Bedrohung war zum einen das weite Einzugsgebiet der Üllrüfe, es reichte bis zur Jeninser Alp hinauf. In den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts drohte die Üll bei der Üllbrücke auszubrechen und den Weg zum Dorf zu nehmen. Es blieb nur bei der Drohung, aber zeigte deutlich, dass der Damm erhöht werden musste. Die Gemeinde Malans erstellte einen Zugang und füllte mit anfallendem Bauschutt den Damm tüchtig auf und schaffte zugleich Platz, um mit grossem Gerät anzufahren, wenn das Bachbett von abgelagertem Geröll geleert werden musste. Die andere Bedrohung war die Gazienzarüfe, die ihr Einzugsgebiet östlich des Rossbodens hatte. Sie floss einst durch das alt Tobel und die Rüfegasse in den Mühlbach. Wenn die Schutzwuhre in der Rüfegasse zu schwach wurden, füllte man sie einfach auf. Das ist der Grund, warum die Rüfegasse heute um Meter höher ist als das anliegende Gelände. Heute sind die Rüfen mit einem breiten Schuttfang verbaut, so dass man, wenn der Schutt im Fang immer wieder weggeräumt wird, im Dorf ohne Angst vor der Rüfe leben kann.

Die Malanser Hochwasser

Der Fluss Landquart bedrohte das Dorf und die Felder eigentlich nie. Und doch überflutete er bei Schneeschmelze, Regenzeiten und bösen Gewittern, die übers Prättigau zogen, die Malanser Heuteiler. Oftmals wurden Saaten, Frucht, Wege und Stege zunichtegemacht. Mit viel Schweiss und Arbeit brachten die Bewohner alles wieder in Ordnung. Die Landquart war über Jahrhunderte eine schwere Sorge und grosse Last für die Malanser. Alle Jahre mussten die Wuhre verbessert und neu erstellt werden. Da mussten die Bürgerfamilien ihren stärksten Arbeiter zur Fronarbeit schicken. Vierzehn Tageseinsätze pro Jahr mussten geleistet werden. Wer diese Pflicht nicht erbrachte oder die Steuer dazu nicht entrichtete, verlor das Bürgerrecht. Auch gab es manchen Streit mit der Gemeinde Zizers, die für das linksseitige Ufer unterhaltspflichtig war.

1992 erlebten wir doch ein besonderes Hochwasser. Es herrschte grimmige Kälte, Stein und Bein war gefroren. Der Mühlbach steckte voller Eis. Da brach das Wasser über die Ufer und floss über den harten Boden dahin wo es schnell wieder zu Eis wurde. Teile des Wassers erreichten die Strassen im Stampfacker und füllten dort viele Keller und Garagen. Am schlimmsten traf es eine Familie, die im Erdgeschoss Schlafzimmer für ihre Kinder hatte. Diese Räume wurden ganz gefüllt. Zum grossen Glück geschah die Flutung abends bevor die Leute zur Ruhe gegangen waren. Es brauchte einige warme Tage bis der aufgetaute Boden das Wasser aufnehmen konnte.

Die St. Antönier Lawinen

Im Jahre 1954 wurde Herr Gredig wegen des grossen Lehrermangels als nicht fertiger Lehrer an die Oberschule St. Antönien abgeordnet. Es war kurz nachdem schwere Lawinen im Tal Menschenopfer forderten und grosses Unheil anrichteten. Seine Grossmutter jammerte: "Dort gibt es Lawinen", seine Mutter meinte trocken: "Wenigstens weit weg, so höre ich keine Klagen". Er trat seinen Dienst an und erlebte leichte Winter. Aber die Bewohner von St. Antönien erzählten ihm einige Geschichten über ihre Winterarbeit und auch über Lawinenzüge. Dann kamen strengere Winter und ein Samstagvormittag, den er nicht mehr vergessen wird. Eine Schneelawine hatte sich gelöst und war auf das Dorf heruntergekommen. Alle rannten hinaus und stürmten wahllos auf dem Schneehügel umher. Ein erfahrener Bauer schritt ruhig über den Schnee. Plötzlich blieb er stehen und zeigte: "Hier ist jemand". Sie konnten den Lehrer, der mit einer Gruppe Kinder, obwohl der Futterknecht im nahen Stall ihm davon abgeraten hatte, das Gepäck der Lagerkinder zur Post zu bringen wollte, heil aus dem Schnee herauswühlen. Das Zusammenbringen der Kinder und der im Hause gebliebenen Personen durch den metertiefen Pulverschnee war eine besondere Herausforderung. Die wunderschöne Natur kann eben auch Geschehnisse bringen, über die der menschliche Geist keine Macht erfinden kann.

Wasser im Keller

Auch wenn Menschen immer mehr Systeme erschaffen, um alles und jeden zu kontrollieren - eines werden wir wahrscheinlich nie in den Griff bekommen: die Natur. Sie lässt sich nichts sagen. Klar, wenn kein Schnee gefallen ist, kommen Schneekanonen zum Einsatz, aber eine Lawine können wir genauso wenig aufhalten wie Regen. Mitunter regnet es so stark, dass Flüsse und Seen übertreten, sodass es zu Überschwemmungen kommt und wenn es ganz blöd kommt, hat man dann auch Wasser im Keller. Jeder, dem das schon mal passiert ist, weiss, was das heisst: Eimer füllen, Treppe hoch, ausleeren, Treppe wieder runter. Ganz abgesehen von dem Schaden, der entsteht und was alles dabei zu Bruch geht. Wenn ganze Städte und Dörfer überschwemmt sind, gibt es häufig eine grosse Solidarität von der restlichen Bevölkerung, ob selbst betroffen oder nicht, es wird mit angepackt und beim Aufräumen geholfen.

Liebe Manager: Wenn Sie Wasser im Keller haben oder die Lawine über Ihnen einbricht, können Sie auf die Solidarität von anderen hoffen? Oder gehen Sie da alleine durch? Für mich persönlich ist es immer wieder erschreckend, dass nur wenige Manager wirklich gute Freunde haben. Über 1'000 Xing-Kontakte, aber niemanden den man(n) anrufen kann, wenn man(n) bis zum Knie im Wasser steht oder unter Schnee begraben liegt. Rüsten Sie sich lieber jetzt, wenn Sie das Wasser oder die Lawine nur auf sich zukommen sehen, statt dann alleine dazustehen, wenn Sie mittendrin stehen oder drunter liegen. Schauen Sie nicht zu, bis es zu spät ist, werden Sie heute tätig. Rufen Sie einen Freund an, den Sie in letzter Zeit vernachlässigt haben. Sie werden sehen, dass Ihnen das guttun wird.

Fragen Sie sich selbst: Auf was bauen Sie, wenn Sie in eine Krise kommen?
Wer wird Sie in der Krise unterstützen?

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